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Nicht jeden Tag gleich

  • Paula Hauß
  • vor 3 Tagen
  • 5 Min. Lesezeit

Wie Zykluswissen hilft – und warum wir die Verantwortung nicht allein tragen sollten.


Ich selber habe vor Jahren angefangen, meinen Zyklus zu tracken und weiß ganz genau, in welcher Phase ich mich befinde. Zyklisches Leben heißt für mich, den Zyklus einzubeziehen. In die eigene Planung. In Gespräche, in die Partnerschaft, ins Business, ins Leben. Nicht, um mich zu rechtfertigen – sondern, um sichtbar zu machen. Zyklisches Leben heißt für mich nicht (nur), dass ich Termine absage, wenn’s gerade nicht „reinpasst“. Es heißt: Ich weiß, in welcher Phase ich bin – und das hilft mir, mich besser zu verstehen. Meistens. Manchmal bin ich mir, trotz dass ich meinen Zyklus kenne, selbst ein Rätsel – und das ist auch okay.


Gespräche haben sich verändert. Heute beginnt ein Treffen mit Freundinnen manchmal so, dass wir uns ganz selbstverständlich darüber austauschen, in welcher Phase unseres Zyklus wir gerade sind. Aus Interesse, weil es so vieles erklärt, weil es verbindet. Was früher komisch gewesen wäre, ist heute selbstverständlich. Früher hieß es: „Ich hab meine Tage.“ Heute erzählen wir, wie es uns geht: Was wir brauchen, wie unsere Energie ist, was sich verändert hat – auch nach der Geburt. Wir fühlen mit. Wir feiern uns. Machen gemeinsam Pläne und checken, ob es in die jeweilige Zyklusphase passt. Das liebe ich. Und dieses Privileg.


Endlich wird darüber gesprochen


Das Thema Zykluswissen bekommt gerade mehr Aufmerksamkeit. Es gibt viele Angebote, Workshops, Coachings rund um das Thema – und das ist wunderbar. Weil etwas, das lange verschwiegen, beschämt oder pathologisiert wurde, endlich normalisiert wird. Weil Frauen* lernen, ihren Körper besser zu verstehen und Zusammenhänge zu erkennen.

Weil Zykluswissen verändert, wie wir arbeiten, lieben, kommunizieren. Es bringt neue Denkweisen in Beziehungen, Bildung, Care-Arbeit, Politik – und das ist das, was wir langfristig brauchen.


Wenn Zykluswissen Druck erzeugt


Trotz all der wichtigen Entwicklungen rund um das Thema gibt es auch eine Seite, die ich nicht so cool finde. Nämlich: Zykluswissen als Selbstoptimierungsfalle à la

„Wenn du deinen Zyklus nicht kennst, hast du dein Leben nicht im Griff.“ Oder: „Die gute Zyklusfrau“, die immer weiß, wann sie was leisten kann. Zykluswissen kann auch Druck machen. Zum Beispiel die Idee, dass wir in der Follikelphase automatisch voller Energie sein sollen und uns während der Menstruation selbstverständlich zurückziehen, ruhen, um zu regenerieren. Oder dass, wenn wir „richtig“ zyklisch leben, PMS verschwindet, Periodenschmerzen aufhören und wir beim Eisprung vor (Lebens-)lust sprühen. Die Realität sieht aber so aus, dass viele gar nicht die Möglichkeit haben, ihr Leben nach ihrem Zyklus auszurichten – weil Arbeit, Alltag, Verantwortung einfach keine Rücksicht nehmen. Und was ist dann die Lösung? Die Pille, Ibuprofen und Scham?Das Gefühl, zu versagen, weil man es nicht „hinbekommt“?

Versteht mich nicht falsch – ich bin absolut pro Zykluswissen. Zu 100 %. Aber ich denke, dass es wichtig wäre, Zykluswissen nicht als „Frauensache“ abzustempeln. Und anstatt das Thema wieder einmal den Betroffenen zu überlassen, auch mal die Strukturen zu hinterfragen.


Zyklusgerecht leben darf kein Luxus sein


Ist es aber leider (noch). Es darf nicht heißen: „Wenn du’s dir leisten kannst, dann mach’s halt.“ Sondern: „Wie schaffen wir Räume, in denen es für alle möglich wird?“ Manchmal wirkt es wie ein Trend – als müsste man „wieder zurückfinden“, als wäre das Ziel ein regelmäßiger, funktionierender Zyklus und dann ist das Leben wieder leicht. Und das kann verunsichern, Druck erzeugen, ausschließen.



Zykluswissen sollte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wir keine Maschinen sind.


Dass niemand konstant leisten und funktionieren muss, um Raum, Ruhe oder Rückzug verdient zu haben. Dass Körper Rhythmen haben – auch dann, wenn sie sich nicht in einem regelmäßigen Zyklus zeigen. Auch dann, wenn keine Blutung kommt. Auch dann, wenn alles gerade nicht lesbar ist. Das gilt für alle: Für menstruierende Menschen. Für Schwangere. Für Frauen in oder nach der Menopause. Für nichtbinäre und trans Menschen. Für Frauen nach der Geburt – bei denen der Zyklus manchmal lange ausbleibt oder anders zurückkehrt. Für alle, bei denen Phasen nicht nach Lehrbuch verlaufen. Für alle, bei denen sich das Spüren verändert hat. Und auch für diejenigen, die aus medizinischen Gründen oder ganz bewusst hormonell verhüten. Auch sie müssen sich nicht rechtfertigen. Nicht alle mit Zyklus sind Frauen. Und nicht alle Frauen haben einen Zyklus. Und trotzdem sind sie nicht jeden Tag gleich. Nicht gleich drauf. Nicht gleich leistungsstark. Und genau das ist okay. Weil Menschsein nicht linear ist. Und Zyklischsein mehr ist als Menstruation.


Was wir brauchen


Wir brauchen Räume, in denen der Zyklus kein Tabu mehr ist. In denen auch Männer über unsere zyklischen Prozesse Bescheid wissen und uns dementsprechend supporten können. Der Zyklus ist komplex. Vielschichtig. Und manchmal nicht mal für uns selbst leicht zu greifen. Aber genau deshalb ist es so wichtig, dass wir nicht mehr alleine damit bleiben. Dass Partner*innen sich mit dem Zyklus ihrer Partner*in beschäftigen. Nicht, um uns zu analysieren. Sondern, um bewusster supporten zu können. Wie viel schöner wäre Beziehung, wenn das Standard wäre? Nicht mit „guter Laune“ oder Schokolade auf Verdacht. Sondern mit echtem Mitdenken. Mit Präsenz. Mit der Bereitschaft, Verantwortung zu teilen – nicht nur im Notfall. Support kann heißen: „Ich merk, du brauchst heute Ruhe – ich übernehme.“ „Ich weiß, du entscheidest gerade ungern – ich schlag was vor, du fühlst rein.“ Es geht nicht darum, alles zu verstehen. Sondern darum, nicht zu werten. Nicht zu belächeln, wenn wir nicht „funktionieren“. Sondern zu sagen: Ich seh dich. So, wie du heute bist.


Was sich verändern muss


Ich will nicht, dass wir wieder alles selbst erklären müssen. Ich will, dass Verantwortung geteilt wird. Dass sich Systeme bewegen – nicht nur wir. Dass Schulen Menstruation nicht als Randthema behandeln. Dass Arbeit nicht nur leistungs-, sondern auch zyklusgerecht sein kann. Dass medizinische Forschung endlich mehr ist als Durchschnittswerte für Männerkörper. Denn so, wie unser Zyklus noch immer aus Gesprächen rausgehalten wird, aus Meetings, aus Schulbüchern, aus Krankenakten – so zeigt sich, wofür es in unserer Gesellschaft noch keinen Platz gibt:

Für alles, was nicht linear, berechenbar oder dauerhaft leistungsfähig ist.


Warum ich darüber schreibe


Ich schreibe über Zykluswissen, weil es mich verändert hat. Weil ich mir dadurch näher bin. Weil ich sehe, wie viel Kraft darin steckt. Weil ich weiß, wie viel sich verändert, wenn wir uns besser verstehen. Weil es verbindet. Aber ich schreibe auch, weil das Leben oft keinen Platz lässt für Rückzug, für Phasen, für Stillstand. Weil ich sehe, wie oft Menschen funktionieren müssen, obwohl der Körper laut ruft: Stopp. Weil ich merke, wie schnell aus etwas Heilsamem ein neuer Anspruch wird. Ich schreibe, weil das alles gleichzeitig wahr ist. Und was wir daraus machen – das muss größer gedacht werden als nur in unseren eigenen vier Wänden. Nicht als individueller Optimierungswahn, sondern als kollektiver Lernprozess. Nicht alle können danach leben. Aber alle sollten das Recht haben, es zu dürfen. Und bis die Gesellschaft so weit ist, braucht es Mitgefühl, Bildung und geteilte Verantwortung. Keinen Perfektionismus. Und ganz sicher keinen weiteren Grund, sich unzulänglich zu fühlen. Zykluswissen darf uns freier machen.


 
 
 

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