Sacred Pleasure
- Paula Hauß
- 5. Juni
- 4 Min. Lesezeit
Die letzten Wochen war es still um mich. Nicht, weil nichts passiert ist – sondern, weil so viel passiert ist, dass ich dafür keine Worte hatte. Nicht, weil ich weg war – sondern, weil ich da war. Ich habe geheiratet. Wir haben gefeiert. Gelebt. Gelacht. Gefühlt. Ich habe mich dem Leben hingegeben.
Life as a Ceremony.

Unsere Hochzeit liegt etwas mehr als eine Woche zurück – und sie war so viel mehr als ein Event. Es war eine tiefe, vibrierende, lebendige Erfahrung von Freude, Liebe, Aufregung und purer Fülle. Und ja – es war auch anstrengend. Mein Körper war erschöpft, mein Nervensystem ziemlich überlastet. Aber es hat sich gelohnt. All das, was ich in der letzten Woche erlebt habe, war:
Pleasure.
Nicht das oberflächliche „Sich was gönnen“, sondern dieses tiefe Gefühl von:
→ Ich darf empfangen.
→ Ich darf genießen.
→ Einfach, weil ich bin.
Es fühlte sich gleichzeitig fremd und vollkommen richtig an. Natürlich. Selbstverständlich – und doch neu. Aber ab und zu kam auch diese leise Stimme durch, die ich sehr gut kenne:
„Darfst du das wirklich?“
„Hast du genug geleistet, um es dir zu erlauben?“
„Ist das nicht ein bisschen zu viel?“
Ich beschäftige mich schon lange mit dem Thema Schuld – vor allem, seit ich Mutter bin. Ein Thema, das so tief sitzt, so relevant ist, so viel Schmerz bringt. Etwas, an dem ich seit Jahren arbeite – bei mir selbst, in meiner Begleitung, mit meinen Klient:innen. Und in den letzten Wochen konnte ich die Stimme der Schuld so klar hören, ohne ihr zu glauben. Ich habe sie wahrgenommen. Ganz deutlich. Ich konnte sie beobachten, wie von außen. Ich habe ihr Raum gelassen, ohne ihr Macht zu geben. Und ich habe festgestellt: Ich muss dieser Stimme nicht mehr folgen, um mich sicher zu fühlen. Ich darf wählen, wem ich glaube. Und dieses Mal habe ich mir selbst geglaubt. Meinem Körper. Meiner Freude. Meinem Ja. Und genau da ist mir auch nochmal bewusst geworden, wie tief dieses Muster sitzt – wie sehr Freude, Genuss, Fülle an Bedingungen geknüpft sind. Dass Pleasure (vermeintlich) nicht einfach sein darf, sondern etwas ist, das man sich verdienen muss. Wir sagen oft „guilty pleasure“.
Aber was wir wirklich meinen, ist etwas ganz anderes:
„Ich sehne mich – aber ich traue mich nicht ganz.“
„Ich spüre – aber ich weiß nicht, ob ich darf.“
„Ich nehme – und schäme mich.“
Weil: Wenn ich mich wenigstens ein bisschen dafür schäme, dann ist es irgendwie okay?
Dann fühlt es sich weniger egoistisch an? Weniger „zu viel“?
Fast so, als würde die Schuld den Genuss ausgleichen. Als wäre das schlechte Gewissen die Eintrittskarte, damit ich mir überhaupt etwas Schönes erlauben darf. Aber genau das ist das Muster, das wir durchbrechen dürfen. Denn Pleasure braucht keine Rechtfertigung. Keinen Ausgleich. Kein Wenn und Aber. Sie darf da sein. Einfach so. Weil du da bist.
Guilty Pleasure. Was für ein beschissenes Konzept, oder?
Ich glaube, es ist an der Zeit, das zu hinterfragen. Ich will mich nicht mehr rechtfertigen müssen für das, was sich gut anfühlt, sondern stattdessen einen neuen Begriff einführen:
Sacred Pleasure.
Ich möchte diesen Begriff festhalten, weil er genau beschreibt, was ich erlebt habe – und immer wieder erlebe, wenn ich es mir erlaube. Nicht, um etwas Neues zu „erfinden“, sondern um etwas Altes zurückzuholen. Das Heilige im Alltäglichen. Die Schönheit im scheinbar Banalen. Den Moment, der nicht funktioniert, sondern fühlt.
Sacred Pleasure ist für mich:
Ganz früh morgens aufzuwachen, bevor jemand etwas von mir will – und in aller Stille einen Kaffee zu trinken, dazu ein Stück Schokolade.
Es ist: Die erste Erdbeere der Saison, die ich allein und in Stille esse, während das Kind Mittagsschlaf macht.
Es ist: Trash-TV auf dem Sofa mit Chips – nicht aus Eskapismus, sondern aus purer Lust am Nichts-Müssen.
Es ist: Ein tiefer Atemzug Teebaumöl, kurz bevor ich das Haus verlasse. Weil ich mich erinnern will: Ich bin hier. Ich bin sicher.
Es ist: Kakao und Kerzenschein in der Badewanne und sich danach einzucremen, langsam, mit Bedacht. Und dabei nicht zu denken: Das ist Zeitverschwendung. Sondern: Das ist Rückverbindung. Erdung.
Es ist auch: Der Moment, in dem ich zum dritten Mal an meinem Öl-Roller rieche und denke: „Ich weiß nicht, was das mit mir macht – aber es macht was.“ Und ich lasse es zu.
Es ist: Mir die Nägel zu machen und sie richtig „fotzig“ zu finden.
Denn Sacred Pleasure ist auch Begriffe zurückzuerobern. Zum Beispiel das lange verpönte, als obszön gebrandmarkte Wort „Fotze“. Ein Wort, das jahrzehntelang genutzt wurde, um Frauen herabzusetzen: als aggressiv, unverschämt, „zu laut“, „zu viel“, „zu direkt“. Ein Wort, das weibliche Kraft, Sexualität und Klarheit beschämt hat und genau deshalb von uns zurückerobert werden muss. (Danke Jovana Reisinger für die Inspiration.)
Sacred Pleasure ist kein Produkt. Es ist kein Konsum. Es ist eine Haltung.
Sacred Pleasure ist die Erlaubnis, die nicht von außen kommt. Es ist keine Performance. Sacred Pleasure ist widerständig. Ein Protest gegen das Müssen. Ein Ja zum Sein.
Und wenn du dir dabei manchmal albern vorkommst – wenn du an Ölen schnupperst, an Blüten riechst, mit nackten Füßen durchs Wohnzimmer tanzt – wenn du in der Drogerie viel zu lange überlegst, welches Duschgel heute zu deiner Stimmung passt – wenn du Lavendel auf dein Kopfkissen sprühst, einfach, weil es schön duftet – dann weißt du: Du bist auf dem richtigen Weg. Denn Schönheit ist nicht rational. Und Genuss braucht keine Beweise. Nicht vor anderen. Nicht mal vor dir selbst. Es darf schön sein. Es darf sinnlich sein. Es darf einfach sein.
Sacred. Nicht, weil es „spirituell“ ist. Sondern, weil es dich an dich erinnert. Und das ist heilig genug.
Was ist sacred pleasure für dich?
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